Der typische Schweizer

 

 

 

Über die Mentalität einer Gruppe von Menschen zu sprechen ist immer eine Gratwanderung, es droht eine Absturzgefahr in Form von Vorurteilen und Klischees. Bei den Schweizern ist diese Klippe besonders steil, denn wir sind keineswegs ein Einheitsvölkchen, wir sind so unterschiedlich wie unsere Sprachen. Und trotzdem kann man ganz genau nachlesen wie wir denn so seien:

 

Freundlich, neutral, kompromissbereit, vorsichtig, fast scheu, fallen nie mit der Türe ins Haus. Wir sprechen nie über Geld, was nicht bedeutet, dass wir darin schwimmen würden. Gleichzeitig sind wir Weltmeister im Recyceln, lieben den Perfektionismus, sind korrekt und genau und immer pünktlich. Eine Verspätung des ÖV von mehr als drei Minuten ist bereits eine SMS wert: «Habe Verspätung»! Wir prahlen nie, sind bescheiden und lieben deshalb die Verkleinerungsform, dieses «li», das die Deutschen an uns so köstlich finden. Wir machen in Vereinen mit, haben das Fondue erfunden und natürlich das Kräuterbonbon aus der Werbung.

 

Ist uns dieses Lob nicht etwas peinlich, bescheiden sollen wir doch auch sein?

Wird uns nicht etwas mulmig zumute, wenn so viel Gutes über uns gesagt wird? Die beste Schokolade der Welt haben wir natürlich auch noch erfunden und das Skifahren und Wandern sind unser Volkssport.

 

Sehen uns unsere Nachbarn genauso? In einem Einwanderungsbuch für Deutsche, die in der Schweiz leben und arbeiten möchten, wird erwähnt, dass bei uns so manches gemütlicher abläuft, sogar ein Einkauf in der Bäckerei. Hier ein möglicher Dialog:

«Grüezi», «Grüezi», «was hätten Sie denn gerne?», «ich hätte gerne Brötchen», «wie viele darf‘s denn sein?», «hmmm, geben Sie mir drei Stück», «darf es sonst noch was sein?», «nein, das ist alles», «das macht dann drei Franken, wenn Sie so gut sein möchten», «hier bitteschön», «ganz herzlichen Dank für Ihren Einkauf und noch einen schönen Tag», «bitte gern geschehen, Ihnen auch einen schönen Tag».

 

In Deutschland würde dies etwa so ablaufen:

«hallo, ich krieg drei Brötchen», «drei Franken», «tschüss», «tschüss».

 

Ja, wir Schweizer sind wirklich freundlich, wir benützen den Konjunktiv und hätten etwas gerne, auch wenn wir es in Wirklichkeit fordern. Wenn ein Chef zu einem Angestellten sagt «ich würde dies langsam erledigen», dann handelt es sich weder um einen Wunsch noch um eine Option, sondern schlicht um einen Befehl, aber eben einfach nett ausgedrückt.

 

Wir sind zuvorkommend, aber andere auch

Ich war schon mehrmals an der Ostsee in den Ferien. Einmal unternahm ich einen Ausflug nach Kiel und bekam Lust auf etwas Süsses. Als ich mich in einer Bäckerei hinten anstellte und gemütlich wartete, bis ich an der Reihe war, hatte ich genügend Zeit, mich auf die Verkaufsgespräche vor mir zu konzentrieren. Das Einwanderungsbuch kam mir in den Sinn. Da überlegte ich mir, ob man die Verallgemeinerungen auch umgekehrt anwenden kann. Unter keinen Umständen wollte ich auffallen, mein Ziel war es, als Einheimische durchzuschlüpfen. Dieses «ich krieg zwei Stück Blechkuchen» hatte ich mir gerade zurechtgelegt, aber weit gefehlt! Der Smalltalk fand auch hier statt, genau wie in der Schweiz. In aller Ruhe konnte ich nach den verschiedenen Beeren und Früchten fragen und bekam ausführlich Antwort. Da fühlte ich mich doch gleich zu Hause!

 

Gabi Doggweiler