Kein Geheimnis: Die Störche bringen die Babys

 

 

Jeder weiss, man sollte lüften, täglich mindestens einmal, besonders Geheimnisse. Es ist aber kein Geheimnis, dass die Störche die Babys bringen. Sogar die Kinder wissen das. Einige Babys werden bestellt, andere einfach so geliefert. Das spielt keine Rolle, die Eltern freuen sich in der Regel über jeden Nachwuchs. Er wird gehegt, gepflegt und gefördert; für ihn macht man so ziemlich alles und das ist gut so.

 

Es gibt Menschen, denen die reale Selbsteinschätzung fehlt. Entweder wurden sie als Kinder zu stark oder gar nicht gefördert, oder ihnen fehlt einfach von Natur aus die eigene Wahrnehmung. Selbstverliebt schiessen sie in jeder Situation ein Selfie. Alles wird dokumentiert, die Aussenwelt soll schliesslich sehen, dass man der Coolste ist, auch wenn man dabei rückwärts ins Wasser fällt. Die Spirale dieser Egomanie dreht sich dank Sendungen wie «Deutschland sucht den Superstar», «Germanys next Topmodel» oder wie sie alle heissen immer schneller. Jeder sieht sich als Star und posiert. Ich muss gestehen, die Sendung «leider nein» habe auch ich gekuckt. Da konnte man schmunzelnd die gekränkten Seelen beobachten, wie sie rausgeflogen sind. Es war sozusagen eine Sendung, die die Selbstverliebten auf den Boden der Realität zurückbringen sollte – selbstverständlich auf deren Kosten. Manchmal taten mir die Teilnehmer sogar leid. Die Reaktionen waren wirklich amüsant. Die Abgewiesenen drehten sich zum Beispiel immer wieder um und konnten mit dem besten Willen nicht glauben, dass sie - die Besten aller Zeiten - kein Gehör fanden und rausgeschickt wurden. Auch diese Mitmenschen hat der Storch einmal gebracht.

 

Selbstverliebtheit mag bis zu einem gewissen Grad gesund sein; und solange die Sendungen unterhalten und es den Leuten gefällt, spielt es eh keine Rolle. Jeder kann selber entscheiden und einfach den Bildschirm ausschalten oder eben auch nicht. Die Gallier lösten ihr Problem auf eine andere Art. Sie fesselten Troubadix kurzerhand an einen Baum und retteten sich so vor seinem penetranten Gesang. Jeder wusste, dass der Barde nicht singen kann, nur er nicht. Im Gegenteil, der Selbstverliebte wurde in der Gewissheit noch bestärkt, dass alle anderen Banausen und absolute Neider sein müssten, sonst würden sie seine Begabung erkennen – seine Goldstimme – sein Ausnahmetalent.

 

Wenn die Anerkennung verweigert wird, trampeln, stampfen und toben die Narzissten wie Kindergartenschüler in ihrer letzten Trotzphase. Dieses Toben wird leider meistens belohnt. Wer reklamiert und terrorisiert, dem wird praktisch jeder Wunsch erfüllt, nur damit er Ruhe gibt. Auch diese Ausnahmetalente hat der Storch einmal gebracht.

 

Solche Ausnahmetalente regieren im Moment die Welt und wedeln gar mit Atomwaffen. So einfach kann man aber diese Provokateure nicht an einen Baum fesseln und ruhigstellen; auf irgendeine Weise wurden sie gewählt, oder wenigstens fast oder aber auch gar nicht. Sie sind nun mal da und füllen die Tagesschau mit Schreckensnachrichten. Auch hier können wir nur den Fernseher abstellen, was anderes fällt mir nicht ein. Oder doch? «Pst. Ein Geheimnis unter uns: Manchmal, unter gewissen Umständen, hätte man sich besser für den Storch entschieden».

                                                                                                                        Gabi Doggweiler